Zum südlichsten Punkt Afrikas
Die historische Stadt Swellendam liegt 220 Kilometer von Kapstadt entfernt. Bis zum Abgabetermin unseres Campervans bleibt uns noch eine knappe Woche und somit genügend Zeit, den südlichsten Zipfel des Landes zu erkunden. Nur wenige Kilometer ausserhalb von Swellendam findet sich der Bontebok Nationalpark, ein idealer Ort für einen Zwischenstopp. Das kleine Tierschutzgebiet wurde einst geschaffen, um den schwindenden Bestand der seltenen Buntböcke zu schützen.
Eine kurze Fahrschleife führt durch grünes, struppiges Grasland. Schon bald entdecken wir die ersten Buntböcke, die wir bis anhin noch nie zu Gesicht bekommen haben. Diese schön gezeichneten Antilopen findet man nur in Südafrika. Sie tragen ein glänzendes Fell, von hell- über dunkelbraun bis schwarz. Eine markante Partie auf dem Vorderkopf sowie auf dem Hintern ist weiss, auch tragen sie weisse Kniesocken. Die Jungmannschaft sieht den ausgewachsenen Tieren überhaupt nicht ähnlich – ihr Fellkleid ist eintönig hellbraun.
Nach einem regenreichen Tag klart der Himmel gegen Abend etwas auf. Zwar hängen stets noch dicke, dunkle Wolken bedrohlich über uns, aber auch die Sonne räumt sich etwas Platz ein – die Stimmung ist hinreissend. Wir haben gar nicht damit gerechnet, heute Abend noch gemütlich im Freien sitzen zu können. Aber so zelebrieren wir mit Freude einen Sundowner und stossen auf die bunten Böcke an…
Unterwegs in Richtung Süden besticht Ackerland die Landschaft – gelbe Felder soweit das Auge reicht. Die Menschen hier leben von Weizen- und Gerstenanbau sowie von Schafzucht. Die wolligen Tiere stehen auffällig dicht zusammengedrängt auf der Weide. Ist ihnen des heulenden Windes wegen kalt? Wir biegen auf eine Schotterpiste ein. Kommt uns ein Fahrzeug entgegen, sind wir für ein paar Sekunden in eine dicke Staubwolke gehüllt. Ab und zu weist ein Schild auf eine Farm hin. Die Nachbarn sind weit entfernt, die Gegend hier ist einsam. Nach einer knappen Stunde und 40 Kilometern auf der staubigen Strasse haben wir unser Ziel erreicht – das De Hoop Nature Reserve.
Das Naturreservat ist facettenreich – grüne Gebirgsketten, eine zerklüftete Küste, weitläufige Strände, grosse Sanddünen sowie ein Feuchtgebiet mit einem See. Die Einfahrt liegt auf einem Hügelzug. Von oben bietet sich ein erster Blick auf den tiefblauen Ozean und „weisse Berge“. Es sind die blendend weissen Sanddünen, die bis zu 90 Meter hoch sind. Sie reichen bis ans Meer. Der Wind bläst kräftig, verändert die feinen Wellenzeichnungen des Sandes im Sekundentakt. Die Aussicht auf die Küstenlinie und die Buchten ist fabelhaft.
Das De Hoop Nature Reserve ist auch die Heimat wilder Tiere. Einerseits ist es einer der besten Orte für die Walbeobachtung vom Land aus. Die Meeressäuger ziehen in der Regel zwischen Juli und Oktober an der Küste vorbei. Wir spähen in die blaue Weite, aber die Ozeanriesen sind wohl schon abgezogen. Nebst den Walen sind hier Bergzebras, Buntböcke und weitere Antilopen heimisch.
Wir stossen auf eine gigantische Herde von Elands, sogenannte Elenantilopen – bei 200 hören wir zu zählen auf. Ganz viele Jungtiere ziehen in der Herde mit. Die Elenantilope ist die grösste aller Antilopen. Bullen erreichen eine Schulterhöhe von bis zu zwei Metern und ein Gewicht von bis zu einer Tonne. Mit ihrem massigen Körperbau machen sie einen behäbigen Eindruck, galoppieren aber so schnell wie ein Pferd. Ihr Haarkleid ist hellbraun, mit zunehmenden Alter wird es gräulich – das kommt mir doch bekannt vor… Gerade, schraubenartige Hörner stecken auf ihrem Haupt. Die Elands selber sind gewiss keine Schönheit, aber diese riesige Herde begeistert und lässt uns die Zeit vergessen.
Für heute haben wir uns den 13 Kilometer langen Vlei-Trail vorgenommen. Vlei ist das afrikaanse Wort für Feuchtgebiet. Erst verläuft der Weg auf den Klippen entlang des hellblau schimmernden Sees. Auf den Felsen wärmen sich am Morgen Dassies auf Betriebstemperatur auf. Roland entdeckt zwei kleine Geschwister an der Seite ihrer Mama. Jöh, die beiden Fellknäuel sind drollig und noch unsicher auf ihren Füssen. Und wieder vergessen wir die Zeit… na ja, wir haben ja genügend davon!
Der Wanderweg ist zwar gekennzeichnet, aber die Markierungen sind nicht immer ganz eindeutig und lösen sich auf halbem Weg plötzlich in Luft auf. Mit der dürftigen Karte, die wir erhalten haben, lässt sich nicht viel anfangen. Immerhin liegt vor uns ein Pfad und dieser ist als Mountain-Bike-Trail bezeichnet. Was bleibt uns anderes übrig, als diesem zu folgen? Ein Glück, dieser Trail führt uns bald wieder in Richtung Campingplatz zurück. Die Sonne glüht, die auffrischende Brise ist mehr als willkommen und vertreibt auch die lästigen Fliegen. Der Weg führt uns durch die für diese Gegend typisch grüne Fynbos-Landschaft. Fynbos heisst „feiner Busch“ und zeichnet sich durch eine erstaunliche Pflanzenvielfalt mit niedrigen Büschen, Grashalmen und Blumen aus.
Nun verbleiben noch rund zwei Fahrstunden zum südlichsten Punkt des Landes. Das Cape Agulhas ist nicht nur der südlichste Punkt von Südafrika, sondern vom ganzen schwarzen Kontinent. Wegen seiner einzigartigen Pflanzenwelt – 2000 verschiedene Arten, 100 davon endemisch – wurde das Kap zum Nationalpark erklärt. Erstaunlicherweise wird hier kein Eintrittsgeld verlangt… Agulhas heisst Nadeln. Der Name stammt angeblich von portugiesischen Seefahrern, die anhand ihren Kompassnadeln feststellten, den südlichsten Punkt Afrikas umfahren haben.
Vom rot-weissen Leuchtturm eröffnen sich nach einem steilen Aufstieg über mehrere Leitern fantastische Ausblicke auf die wilde Küstenlandschaft. Ein behindertengerechter Holzsteg führt von hier aus einen Kilometer der Küste entlang und bringt uns zur wahren Südspitze Afrikas. Der warme Indische Ozean trifft hier auf den kalten Atlantik. Das Aufeinandertreffen verschiedener Meeresströmungen führt oft zu hohem Wellengang, die Gewässer um das Kap Agulhas gelten deswegen und wegen der felsigen Untiefen und Riffe als sehr gefährlich. Viele Schiffe sind hier schon versunken und Tausende von Menschen wurden vom tückischen Meer verschlungen.
Wir wandern weiter und weiter, lassen die restlichen Touristen hinter uns. Spitze Felsen ragen aus dem Wasser, die Wellen peitschen in die kleinen Buchten. Eine Rundwanderung führt entlang der schroffen Küste, manchmal über grobe, steinige Strände. Auf dem Rückweg über die mit Fynbos bewachsene, hügelige Dünenlandschaft bieten sich sagenhafte Blicke von oben. Juhee, und wettertechnisch gesehen sind wir auch wieder auf der Sonnenseite…
Der Ort L’Agulhas selber ist grösser, wie wir uns vorgestellt haben. Der Reiseführer beschreibt eine ruhige, windzerzauste Ansammlung von Häusern und hat in unseren Köpfen ein entsprechendes Bild geschaffen. Was wir aber vorfinden, stimmt nicht ganz mit diesem Bild überein. Der Ort ist langgezogen und viele stattliche Häuser säumen die Hauptstrasse und ziehen sich an den Hängen in die Höhe.
Wenige Kilometer vor L’Agulhas liegt der Ort Struisbaai an einem langen, sichelförmigen Sandstrand. Dort nächtigen wir – der Campingplatz liegt direkt am Meer. Die grosse rechteckige, eingezäunte Grasfläche ohne Bäume mutet wie ein Fussballplatz an. Die Stellplätze sind quadratisch, einer reiht sich an den nächsten. Wir sind allein, fühlen uns fast etwas verloren, irgendwie ausgestellt. Aber wie ausgestellt wäre man, wären alle Plätze belegt?
Kommentare
Zum südlichsten Punkt Afrikas — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>