Yogyakarta – von Tempeln umgeben
Grau und nass. Beim Blick aus dem Flugzeugfenster verfinstern sich auch unsere Mienen. Yogyakarta auf der Insel Java begrüsst uns mit heftigen Regenschauern. Eingeklemmt in engen Sitzen, doch zwei Stunden vergingen wie im Flug! Das erste Mal auf unserer Reise heisst es, die Uhr eine Stunde zurückstellen, und das obwohl wir ostwärts reisen. Das bedeutet, dass sich schon vor sechs Uhr abends gähnende Dunkelheit ausbreiten wird… Die Einreise in Indonesien gestaltet sich freundlicher wie das Wetter – geschwind stehen wir samt Gepäck beim Ausgang. Mit dem Kauf eines preislich festgelegten Taxicoupons umgehen wir die erste Abzocke und stecken bald im stockenden Stadtverkehr fest. Eine Stunde später nimmt das Knattern der vielen Motorräder endlich ein gutes Ende…
Unser gewähltes Homestay entpuppt sich als gelungene Wahl. Eine Oase inmitten des quirligen Bezirks Prawirotaman im Süden von Yogya (sprich Dschogdscha), wie die Stadt oft genannt wird… In einem blühenden Tropengarten sind rund um ein grosses Schwimmbecken gepflegte Zimmer mit Verandas angeordnet. Uns umgibt eine behagliche Atmosphäre und wir fühlen uns auf Anhieb wohl. Im Touristenviertel ist die Auswahl an Restaurants, Cafés und Reisebüros gross, aber überschaubar, wie auch die Anzahl Reisender, jetzt zu Beginn der Nebensaison. Ausgehungert entdecken wir ein geschmackvolles Lokal, dessen Thai-Küche uns im Nu erobert. Wie immer stürzen wir uns zuerst auf die sämigen Kokosnuss-Currys. Der Gaumenkitzel könnte besser nicht sein. Dazu eine liebevolle Bedienung – da waren wir bestimmt nicht das letzte Mal.
Kaum aus unserer ruhigen Seitenstrasse raus, wälzt sich viel Verkehr. Ein brummender Lärmpegel begleitet uns penetrant. Massenhaft Motorräder schlängeln sich frech zwischen den Autos durch. Für Gehwillige ist die Stadt, auch abgesehen vom Verkehrsaufkommen, kein Vergnügen. Wenn es überhaupt Gehsteige gibt, sind diese alle paar Meter unterbrochen durch Einfahrten mit hohen Absätzen, versperrt durch parkierte Fahrzeuge oder gefährlich tiefer Löcher
wegen. Sogar riesige Pflanzentöpfe stehen gelegentlich mitten vor den Fussgängerstreifen – Yogyas grüne Ader geht mancherorts zu Lasten der Fussgänger. Am Strassenrand lauern zahlreiche Rikschas – mit und ohne Motor – auf Kundschaft. Lästig machen sie auf sich aufmerksam, lassen jedoch bei Nichtbeachten schnell von uns ab. Ihnen wird nachgesagt, Touristen mit überaus günstigen Preisen zu locken, um sie dann auf dem Weg in die nächste Batik-Fabrik zu schleppen. Die Stadt ist das Zentrum der Batik-Industrie und das Gehalt der dreisten Fahrer wird mit saftigen Provisionen aufgebessert.
“Where are you going”, ruft man uns hinterher, “der Palast ist heute geschlossen”. Unbeirrt schustern wir weiter. Nur eine weitere Masche, uns anstelle des Besuches der Sehenswürdigkeit in einen Laden mit Batik zu zerren. Fliegende Händler und Verkaufsstände markieren den Weg zum Kraton – eine Stadt in der Stadt. Hohe weisse Mauern umgeben die riesige Anlage, wo sich nebst dem Sultanspalast viele Pavillons, eine Moschee und ein dicht
bebauter Wohnbezirk verbergen. Täglich finden vormittags kulturelle Vorführungen statt, heute Sonntag sind es traditionelle Tänze. Stark geschminkt wie Puppen und in opulente Kostüme verpackt, bewegen sich die Künstler beinahe in Zeitlupentempo grazil zu Gesang und Perkussion. Gebannt folgen unsere Augen ihren bis in die Finger- und Zehenspitzen gespannten Körper, lauschen den für unsere Ohren etwas monotonen Klängen.
Schmale Gassen führen labyrinthartig durch die Altstadt. Südwestlich des Kratons versteckt sich in einem grossen Areal hinter Gemäuer der Taman Sari, ein alter hübscher Wasserpalast. Schattige Innenhöfe waren durch unterirdische Bogengänge miteinander verbunden, Springbrunnen und Schwimmbecken sorgten für Abkühlung. Ausserdem hatte das Wasserschloss früher eine strategische Bedeutung – im Belagerungsfall konnte man durch die unterirdischen Passagen aus dem Kraton entkommen und sie anschliessend fluten, um das Eindringen der Feinde zu verhindern.
Noch herrscht dunkle Nacht, als uns der Wecker um vier Uhr aus dem Schlummer reisst. Während wir auf den gebuchten Minibus warten, weint der Himmel. Verspätet werden wir mit weiteren Frühaufstehern aus der im Erwachen begriffenen Stadt kutschiert. Unser gemeinsames Ziel – Borobudur vor den Besuchermassen in einer sanften Morgenstimmung zu geniessen. Zu späteren Tageszeiten und auch am Wochenende sei die Tempelanlage 40 Kilometer nordwestlich von Yogyakarta überlaufen. Kurz nach sechs durchschreiten wir das Eingangstor, zeitgleich öffnet der Himmel seine Schleusen erneut. Alles Warten nützt leider nichts, deprimiert kramen wir unsere Regenjacken aus dem Rucksack und nähern uns der tristen Kulisse.
Der Borobudur sei das grösste buddhistische Monument der Welt. Der quadratische Bau mit Seitenlängen von 117 Metern wurde im Jahre 840 fertiggestellt. Man vermutet, dass etwa 10’000 Arbeiter rund 70 Jahre beschäftigt waren. Unklar ist bis heute, mit welchen Methoden die Erbauer eine solche Präzision bei der Anordnung der etwa zwei Millionen Steinblöcke, über 500 Statuen
und zahllosen Reliefs erreichten. Durch einen verheerenden Vulkanausbruch des Gunung Merapi wurde die Anlage verschüttet und während 1000 Jahren von Vegetation umschlossen. Der Borobudur aber lebte weiter in Erzählungen der Einheimischen. Erst im 19. Jahrhundert wurde mit der Freilegung, im 20. Jahrhundert mit der Restauration des im Verfall begriffenen Tempels begonnen.
Im Uhrzeigersinn umwandeln wir Ebene um Ebene, bestaunen die unzähligen filigranen Reliefs und dekorativen Steinmetzarbeiten. Auf über zweieinhalb Kilometern erzählt die aufwändig gestaltete Galerie ganze Geschichten. Weiter oben angelangt, verbergen sich in Meditation versunkene Buddhas in perforierten Stupas, welche wie riesige Glocken anmuten. Der eine oder andere Buddha blickt uns leider kopflos entgegen… Mittlerweile hat der Himmel sogar etwas aufgerissen, scheue Sonnenstrahlen beglücken uns. Noch hängen Nebelschwaden über dem umliegenden Dschungel, was der Szenerie einen mystischen Anschein verleiht. Wir sind überwältigt. Es sind die vielen Details, die das gigantische Bauwerk ausmachen – aus der Ferne vermag es weniger zu beeindrucken.
Unseren Minibus haben wir mittlerweile verpasst, absichtlich. Der Transport zurück wurde bereits gute zwei Stunden nach Ankunft veranschlagt, was für uns Gemächlichen viel zu früh war. Wir lassen uns gerne Zeit, und der Regen versiegte auch erst später. Um neun Uhr ist der Besucherandrang bereits gross, darunter einige muslimische Schulklassen. Alle tragen dieselbe Schirmmütze, die Mädchen darunter noch ein Kopftuch. “Selfie?”, umschwärmen uns die Schüler bittend, teilweise schüchtern und zurückhaltend. Selbstverständlich posieren wir mit einem aufgesetzten Lächeln für ihr gewünschtes Foto. Nach einem knappen Dankeschön stieben sie auch schon wieder davon… Beim Ausgang fallen Souvenirkäufer wie Geier über die Besucher her, sie alle riechen das Geschäft. Schnell lassen wir alle links liegen, werden jedoch zu unserem Erstaunen über einen eingezäunten Weg durch sämtliche Verkaufsstände geschleust, bis wir endlich auf der Strasse stehen.
Es ist Mittag, wir bummeln zum nahegelegenen Busbahnhof. Auf dem grossen Areal steht etwas verloren ein einziger Bus, ganz leer. Skeptisch fragen wir, wann dieser denn losfahre. “Five minutes”, entgegnet der Chauffeur und winkt uns ins Gefährt. Wir steigen ein, glauben ihm jedoch kein Wort. Als er den Bus fünf Minuten später aus dem Terminal manövriert, sind wir sprachlos. Erst an beschaulichen Reisfeldern vorbei, kämpft sich die Kiste bald durch den lauten Verkehr der Millionenstadt Yogya, die sich fast ohne Hochhäuser über eine riesige Fläche ausbreitet…
Das Wetter ist launisch. Zwar halten die Schauer nie über einen ganzen Tag an, doch kehren verlässlich zurück. Schleicht sich die Regenzeit wohl frühzeitig an? Abkühlen tut es aber nicht, es bleibt feuchtwarm und nachts sind wir froh, um den Ventilator an der Decke. Doch heute fällt der Strom aus, was uns einerseits eine schwüle, aber auch lärmige Nacht beschert. Das Rotieren des Ventilators vermag jeweils auch die frühmorgendlichen Gebetsaufrufe des Muezzins sowie das Stimmengewirr und Geschirrgeklapper schlucken. Dementsprechend übernächtigt starten wir in den neuen Tag. Auch brummt der Schädel, die Nase läuft, der Hals kratzt, was bestimmt dem unterkühlten Singapur und dem eisigen Flug zuzuschieben ist. Und
sowieso, momentan sind wir etwas überfordert mit der Planung unserer weiteren Reise. Es gilt für die nächsten Tage und Wochen zu recherchieren, jedoch gleichzeitig auch weiter vorauszuschauen, zu entscheiden, was nach Indonesien kommt. Und schon wieder das Wochenende, welches uns für das nächste Ziel in die Quere zu kommen droht. Es ist schwierig, die samstags und sonntags überlaufenen Touristen-Hotspots ständig zu umschiffen, doch man tut sich einen enormen Gefallen. Schlussendlich entscheiden wir, noch die gesamte Woche hier verstreichen zu lassen. Uns Luft zu verschaffen für die zeitkostende Weiterplanung und unsere hartnäckigen Erkältungen auszukurieren…
Als wir um sieben in der Früh unser Heim verlassen, tobt auf den Strassen bereits das Leben. Der kleine Markt in unserer Gasse ist in vollem Gange. Eine Stunde sind wir mit dem Stadtbus unterwegs, bis wir knapp 20 Kilometer ausserhalb des Zentrums Prambanan erreichen. Auch hier, bei einer der grössten hinduistischen Tempelanlagen Südostasiens, herrscht bereits reges Treiben. Hunderte Schüler bevölkern das Gelände, jede Klasse trägt ein einheitliches Tenue, meist in grellen Farben. Lautes Getratsche tönt aus allen Ecken, die Lehrer halten ihre Schäfchen mit einem dröhnenden Megaphon zusammen. Wir meinen, uns auf einen Sportplatz verirrt zu haben, was dem Heiligtum weder eine friedliche, noch göttliche Stimmung verleiht.
Prambanan wurde wahrscheinlich schrittweise im 9. und 10. Jahrhundert erbaut und zählte über 200 Tempel. Im Verlaufe der Zeit zerstörte ein Erdbeben grosse Teile, noch im 19. Jahrhundert benutzte man die Steinquader zum Strassenbau. Erst später wurde mit der Rekonstruktion des 47 Meter hohen Shiva-Tempels begonnen. Heute bilden neun aufwändig restaurierte Tempel die Hauptattraktion. Hunderte Tempelchen, die früher um den Hauptkomplex standen, liegen in Ruinen und werden wohl nie
wieder aufgebaut, da die erforderliche Mindestbausubstanz fehlt… Wir schlendern um die reich verzierten, verschieden grossen Kunstwerke. Erst beim Näherkommen und genauen Hinsehen fällt uns auf, wie zusammengewürfelt manche Tempel sind. Man merkt, dass die Verzierungen nicht durchgehend sind, sich mit blossen Felsbrocken abwechseln. Doch trotzdem gibt es unzählige, fein in Stein gehauene Reliefs zu bewundern – eine Augenweide.
Die nächsten Tage verbringen wir in unserem idyllischen Daheim, widmen uns vorwiegend der Reiseplanung und hüpfen zwischendurch in den erfrischenden Pool, um unsere rauchenden Köpfe abzukühlen. Im lauschigen Garten lässt es sich hervorragend “arbeiten”, doch gelegentlich nimmt der Frieden ein jähes Ende. Zwei Zimmer werden renoviert, krachende Bauarbeiten vertreiben uns in eines der umliegenden Cafés. Am letzten Tag lassen wir uns nochmals beim Thai blicken, wo wir mittlerweile Stammgäste sind. “Hattet ihr einen guten Tag?”, lächelt uns die aufgeschlossene Angestellte entgegen. Obwohl sich im Quartier viele Touristen tummeln, fragen Einheimische in Restaurants und Läden erstaunlicherweise oft, woher wir kommen, was wir erlebten und wohin wir weiterziehen… Auch heute wird uns nach dem leckeren Schmaus wieder ungefragt eine Nachspeise vor die Nase getischt. “Probiert und verrät mir, wie es euch schmeckt”, ermuntert uns die Indonesierin, “wir kreieren ein neues Dessert. Dabei sind wir natürlich gerne behilflich…
Überpünktlich rattern wir kurz vor sieben in der Früh aus dem Bahnhof von Yogyakarta. Plätze der Eksekutif, der besten Klasse, sind für ein Kleingeld erhältlich und bieten viel Beinfreiheit. Für uns leider nicht, die Enttäuschung steht uns ins Gesicht geschrieben. Unsere Fahrkarten wiesen uns zu den miesesten Sitzen des ganzen Wagons – zuvorderst, die Wand und das Fernsehgerät
unmittelbar vor dem Kopf. Immerhin gelingt es uns, einen kleinen Blick aus dem Zugfenster zu erhaschen. Leuchtend grüne Reisfelder ziehen rasant vorbei, häufig rollen wir aber durch Ortschaften oder Städte. Kein Wunder, Java ist sehr dicht besiedelt. Auf der rund 1000 Kilometer langen Insel leben 140 Millionen Menschen, was gut zwei Drittel der gesamten Bevölkerung Indonesiens entspricht. Mehr als 1000 Einwohner leben auf einem einzigen Quadratkilometer – in der Schweiz machen sich nur 200 Leute dieselbe Fläche streitig.
Nach rund 300 Kilometern in Richtung Nordosten endet unsere Zugreise nach fünf Stunden in Surabaya, einer Millionenstadt ohne touristische Anreize. Es ist Samstag, wir unterbrechen lediglich die Reise für eine Nacht, um nicht am Wochenende an unserem Endziel anzukommen. Der Zug am Sonntag war zu unserem Entsetzen schon vor Tagen völlig ausgebucht… Blechlawinen brausen über die sechsspurigen Strassen, kaum je von einem Zebrastreifen unterbrochen. Und finden wir einen, hält sowieso keiner an. Eine einzige Ampel kreuzt unseren Weg – schaltet das Licht von Rot auf Grün, heult gleichzeitig eine Sirene, damit die Fahrzeuge überhaupt das Tempo drosseln und kurz anhalten. Trotz breiter Gehsteige macht es Surabaya den wenigen Fussgängern nicht leicht. Nach einem kurzen Besuch eines Einkaufszentrums flüchten wir zurück in die sicheren vier Wände unseres Hotelzimmers, verlassen es bis zum nächsten Morgen nicht wieder…
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