Winterliches Ankommen
Mitternacht. Auf dem Flughafen von Abu Dhabi herrscht ein nächtliches Gewusel. Mit fünf Flugstunden in den Knochen werfen wir uns am Abfluggate müde auf einen der wenigen freien Sitzplätze. Pünktlich in Sri Lanka abgehoben und ebenso zeitgenau in den Arabischen Emiraten gelandet, wundern wir uns nun, dass der Weiterflug am entsprechenden Gate nicht angezeigt wird. „Stimmt es, dass euer Flug fünf Stunden Verspätung hat?“, erreicht uns soeben ein WhatsApp meiner Schwester. Wir wissen es nicht, noch nicht. Leider entpuppt sich ihre Aussage als richtig. Die beträchtliche Verzögerung ist anscheinend längst bekannt und im Internet publiziert. Nur vor Ort tappen die betroffenen Passagiere im Dunkeln. Kein „Delayed“ an der Tafel, keine Angestellten am Flugsteig – unglaublich.
Unser Heimkommen steht unter keinem guten Stern. Einerseits treten wir die Rückreise zwei Wochen früher als geplant an, da Rolands Mami leider infolge einer notfallmässigen Operation im Spital liegt. Hinzu kommen die winterlichen Wetterprognosen, die alles andere als Wohlfühlcharakter versprechen. Und obendrein fliegen wir nun die längste Verspätung unserer gesamten Reise ein… Es ist bereits Mittag, als der Riesenvogel auf dem weiss gezuckerten Flughafen der Heimat aufsetzt. Feine Flocken tänzeln von einem wolkigen Himmel, rasch erobert die klirrende Kälte unsere an die Tropen gewöhnten Körper. Minus acht Grad. Ein gewaltiger Temperatursturz von bemerkenswerten vierzig Grad. Jetzt ist genau das eingetroffen, was wir eigentlich nie wollten – im Winter ankommen.
Die leidige Flugverspätung bringt unseren gefüllten Tagesplan ins Wanken. Meiner Schwester ist es somit nicht mehr möglich, uns abzuholen und gleichzeitig verbleibt keine Zeit mehr, bei meinen Eltern ein paar Winterklamotten zu schnappen. Übernächtigt steigen wir in den Zug und düsen direkt an den Bodensee. Die Wiesen hier zwar grün, quält uns eine frostige Biese. Mit den Rucksäcken auf dem Buckel tauchen wir in unserer vorübergehenden Bleibe auf. Ein Nachbar nimmt uns herzlich in Empfang. Die Wohnung in der Nähe von Romanshorn gehört einem pensionierten Ehepaar – Marianna und Jürg haben wir letztes Jahr in Fidschi kennengelernt. Offenherzig und unkompliziert boten sie uns ihr Reich spontan als Wohnoption für unsere ersten Heimatwochen an, sind sie selber noch bis Ende April auf ihrer Weltreise. Dankbar lassen wir uns nieder, brechen aber gleich wieder zu einem ersten Krankenbesuch auf.
Verfroren treffen wir am nächsten Tag bei meinen Eltern ein. Die Wiedersehensfreude ist gross und das feine Raclette der reinste Gaumenschmaus. Kulinarisch erwärmt fahren wir mit einem Miettransporter ins Möbellager im Rheintal und sind froh, präsentieren sich die Strassen heute trocken. Soeben die wichtigsten Schachteln und Fahrräder im Bauch des Fahrzeugs verstaut, fallen unverhofft dicke Schneefetzen. Im Nu ist die Sicht eingeschränkt und die Fahrbahn schmierig. Das hat uns gerade noch gefehlt, fordert der Rechtsverkehr bereits Rolands volle Konzentration. Mittlerweile völlig an den Linksverkehr gewohnt, ist rasch der falsche Hebel erwischt und somit versehentlich der Blinker gesetzt, anstelle der Scheibenwischer.
Glücklicherweise erlangen wir heil unser Domizil, wo wir unser Hab und Gut im nassen Schneetreiben entladen. In der geräumigen Wohnung türmen sich fortan die Zügelkisten. Platz zum Verstauen gibt es keinen, haben Marianna und Jürg nicht mit Eindringlingen gerechnet. Nun 29 Monate aus einem bescheidenen Rucksack gelebt, erschlagen uns die vielen Dinge schier. Bei der Kleiderwahl bin ich heillos überfordert, obwohl wir längst nicht alles ausgepackt haben. Doch es fühlt sich auch gut an, sich nach der langen Reisezeit einst wieder in ganz andere Hüllen zu schmeissen…
Die ersten Tage müssen wir uns nicht ums Kochen kümmern. Immer sind wir irgendwo eingeladen, manchmal sogar zweimal am selben Tag. Es ist wunderbar, unsere Familien wieder in die Arme zu schliessen, miteinander zu quatschen und gemeinsame Stunden zu verbringen. Erstaunlicherweise empfinden wir nicht, wie wenn wir einander seit fast zweieinhalb Jahren nicht mehr getroffen haben. Ist das Zeitalter der modernen Technik schuld? Meistens waren wir gegenseitig auf dem Laufenden – Reiseblog, E-Mail und Skype lassen grüssen. Wahrscheinlich verringern die vielen Kommunikationsmöglichkeiten der virtuellen Welt den immensen Abstand zueinander – die Ferne liegt der Heimat heutzutage gewissermassen näher.
Nach einer besuchsintensiven Woche haben wir uns in unserem temporären Daheim etwas eingelebt. Wir fühlen uns soweit wohl und schätzen die Ruhe. Dennoch beschleicht uns eine innerliche Leere und eine Lustlosigkeit macht sich breit. Die Winterkälte bekam uns nicht gut, wir kränkeln beide und ein hartnäckiger Husten verübelt uns die Nachtruhe. Wenigstens hat sich Rolands Mami zwischenzeitlich etwas erholt, aber nach wie vor ist die ganze Situation belastend. Auch das Wetter ist häufig betrübt und widerspiegelt unsere momentane Gemütsstimmung. Die Temperaturen haben sich immerhin im Plusbereich eingependelt. Gelegentlich heitert uns die zarte Wintersonne auf und lockt uns für ein paar erfrischende Atemzüge auf die Terrasse. Der Ausblick auf den blau schimmernden Bodensee ist fantastisch. Und bei Nordwind rauscht das Gewässer laut, fast wie ein Ozean…
Es gilt nun, die Wohnungssuche anzupacken. Doch wo wollen wir uns eigentlich niederlassen? Vom jetzigen Zeitpunkt aus gesehen, scheint uns Wil strategisch am besten, in der Mitte unserer zukünftigen Arbeitsorte gelegen. Ich werde wieder bei Globetrotter einsteigen, jedoch in Winterthur, und Roland hat für ein temporäres Projekt in Wittenbach zugesagt, ebenso bei seinem früheren Arbeitgeber. Wo es ihn danach hin verschlägt, steht noch in den Sternen, aber so lange möchten wir mit einer definitiven Wohnung nicht zuwarten, sehnen wir uns nach eigenen vier Wänden.
Das Angebot an freistehenden Wohnungen ist berauschend, aber bereits nach dem genauen Hinsehen in Internetportalen ist die Ausbeute ernüchternd. Die Befürchtungen bewahrheiten sich, als wir zu Besichtigungen ausschweifen. Selbstverständlich sind wir bereit, auch Kompromisse einzugehen, aber manches geht gar nicht – stetiger Verkehrslärm oder der Verzicht auf Abendsonne. Es wäre ideal, noch Anfangs April umzuziehen, da wir dann noch nicht arbeiten. Aber wir wollen auch nichts überstürzen und mit Freude in ein neues Daheim zügeln. Die verflixte Suche geht weiter…
In der Heimat angekommen, aber noch nicht richtig daheim. Einerseits räumlich, aber vielleicht ist es auch die Seele, die einfach noch etwas länger braucht. Uns war von Anfang an bewusst, dass die Akklimatisation und das Einleben in der alten Heimat den ungemütlichsten Abschnitt des gesamten Unterfangens darstellen. Wie schaffen wir den Spagat vom Reisen zum Berufsalltag? Von der vogelfreien Tagesgestaltung zum Leben mit Verpflichtungen? Von der Zweisamkeit zum Teilen der knapp begrenzten Freizeit mit unseren Liebsten? Wieder Fuss zu fassen, braucht bestimmt seine Zeit und nicht zuletzt viel Geduld. Wenigstens haben wir beide einen Job in der Tasche und somit sind die ersten Bausteine für einen Wiedereinstieg ins heimatliche Alltagsleben gesetzt.
Unsere Terminplanung gestaltet sich nicht ganz einfach und wir versuchen, das Treffen von Freunden, Spitalbesuche, Zahnarzt, Optiker und noch vieles mehr unter einen Hut zu bringen. Allzu arg dürfen wir unsere Agenda aber nicht strapazieren, benötigen wir stets offene Zeitfenster wegen Wohnungsbesichtigungen sowie Unvorhersehbarem. Auch wartet „daheim“ Bürokratisches auf dem Tisch. Zwischendurch vertreten wir uns die Beine am Ufer des herrlichen Bodensees oder wir verwöhnen unsere Bäuche mit leckerer Schweizerkost: Bratwurst, Rösti, Chässpätzli, Butterzopf, Salami und Pralinen. Aber nicht nur der verlockenden Kalorien wegen fühlt sich der Entscheid, dem Weltenbummeln den Rücken zu kehren, richtig an. Gesättigt vom Reisealltag, freuen wir uns auf das, was kommt, wenn auch momentan noch mit gemischten Empfindungen.
15. März 2018. Unser ursprünglich geplantes Rückkehrdatum. Wären wir heute gelandet, wäre der Temperaturschock nur halb so gross gewesen… Die zwei allerletzten Wochen in Abu Dhabi haben wir wegen dem unstabilen Gesundheitszustand von Rolands Mami kurzerhand gestrichen. Es hätte uns behagt, im arabischen Frühling uns langsam von unserem Reiseleben zu verabschieden und in aller Ruhe abzuschliessen, insbesondere den Blog – unser Reisetagebuch und Fotoalbum. Und uns aus der Ferne noch etwas besser auf das Ankommen vorzubereiten sowie bereits einiges in die Wege zu leiten, bevor die gesamte Heimat auf einmal auf uns einstürzt. Aber wir sind dankbar, konnten wir 126 Wochen ohne Zwischenfälle durch die exotische Ferne streifen. Nun nahm unsere Reisegeschichte eben ein etwas abruptes, verfrühtes Ende. Zweifelsohne hätte es jedoch viel unpassendere Momente und Orte für einen „Abstecher“ in die Schweiz gegeben…
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