Über das Alborz-Gebirge
Enttäuschung macht sich breit. Die für uns reservierten Sitzplätze befinden sich nicht am Fenster, sondern am Gang der Zugkabine. Die restlichen Plätze des Sechserabteils sind bereits von Iranern belegt und die Chance somit gross, dass der Vorhang wegen der strahlenden Sonne zugezogen wird. Uns wurde zwar beim Kauf der Zugtickets kein Fensterplatz zugesichert – die Sitzplätze werden angeblich automatisch vom Buchungssystem vergeben. Was nun? Wir unternehmen die bevorstehende Reise nur der eigentlichen Fahrt wegen. Die Eisenbahnstrecke von Tehran nach Sari zähle zu einer der schönsten des Irans…
Der Zug scheint nicht ausgebucht. Leider spricht das Zugpersonal kein Englisch, aber ich versuche mittels Zeichensprache klar zu machen, dass wir während der Fahrt liebend gerne aus dem Fenster gucken würden. Dies verursacht eine kurze hitzige Diskussion zwischen den Bahnbeamten, aber schlussendlich ergattern wir im nächsten Wagen einer der freien Fensterplätze. Wir sind glücklich und bedanken uns für das Verständnis. Immerhin dauert die Zugfahrt nach Sari rund sieben Stunden.
Von Tehran verläuft die Bahnstrecke zuerst in Richtung Osten. In der Ferne leuchten die frisch verschneiten Bergketten des Alborz. Das Gebirge im nördlichen Iran liegt zwischen dem wüstenhaften Hochland und dem Kaspischen Meer ganz im Norden des Landes. Die Berge ragen bis über 5000 Meter hoch auf. Der höchste Gipfel, der Mount Damavand, ist ein längst erloschener Vulkan mit einer Höhe von 5671 Metern, welcher nur etwa 80 Kilometer östlich der Hauptstadt liegt. Wir glauben, den perfekten Vulkankegel zu sichten…
Der Zug schwankt, schnauft mittlerweile nordwärts die kahlen Gebirgshänge hinauf. Die Strecke ist malerisch, Felsformationen in rötlichen Farbnuancen ziehen am Zugfenster vorbei. Die wüstenhafte Gegend erinnert uns an den Südwesten der USA. Langsam rattern wir bis auf rund 2200 Meter, dann ist eine Hochebene erreicht, von wo die Gleise nur noch steil hinunter führen. Im Nu verwandelt sich der trockene Landstrich in eine saftig grüne Gegend. Abenteuerliche Windungen mit Kehrtunnels und Brücken prägen nun die spektakuläre Fahrt. Bei Veresk überspannt eine wuchtige Brückenkonstruktion eine tiefe Schlucht.
Immer wieder hält der Zug, meist in kleinen Orten. “Der nächste Stopp dauert 20 Minuten”, erklärt uns ein Zugbegleiter, der einige Worte in Englisch weiss, “Zeit zum Beten”. Tatsächlich, viele Passagiere steigen aus, steuern dem Gebetssaal des Bahnhofs entgegen. Wir sind aber nicht die einzigen, die zurückbleiben. Ein paar Frauen sprechen uns an, gegenseitig freuen wir uns über einen kurzen Schwatz. Mittlerweile sind die Berghänge dicht bewaldet, wir rollen an unzähligen Reisfeldern vorbei. Am späten Nachmittag erreichen wir pünktlich die Kaspische Ebene, welche nur noch knapp über Meereshöhe liegt – schwülheisse Luft umarmt uns.
Auf knapp 200 Kilometer Entfernung kann der Gegensatz von Klima und Vegetation kaum krasser sein, welcher durch die hoch aufragende Gebirgskette des Alborz verursacht wird. Sie trennt das spärlich bewohnte Hochland von der dicht besiedelten Küstenregion des Kaspischen Meeres, an ihr regnen sich niederschlagsreiche Wolken ab. Das Gebirge bildet eine deutlich spürbare Klimascheide zwischen dem feuchten, subtropischen Norden und dem trockenheissen Süden.
“Welcome Mister!”, empfangen uns Taxifahrer vor dem Bahnhofsgebäude von Sari. Diese Begrüssung ist üblich, meist wird von Männerseite nur der Herr angesprochen. Macht nichts, ich geniesse es, manchmal im Hintergrund zu stehen und Roland das Verhandeln zu überlassen. Heute muss der Preis jedoch nicht diskutiert werden, der Fahrer verlangt umgerechnet lediglich zwei Dollar für die Fahrt ins Stadtzentrum. Ansonsten bezahlen wir wahrscheinlich oft etwas zu viel, einen Touristenpreis sozusagen, der schwierig herunterzuhandeln ist, bestimmt auch der fehlenden Persischkenntnisse wegen.
Nebst zwei alten Grabtürmen aus dem 15. Jahrhundert verfügt die lebendige Provinzmetropole kaum über Sehenswürdigkeiten. Vorbei am Uhrturm, dem Wahrzeichen von Sari, flanieren wir durch enge Gassen mit für hier typischen alten Häusern mit Ziegeldächern und hölzernen Vorbauten. Nachdem wir bereits in Tehran nur noch wenige westliche Reisende ausmachen konnten, haben wir nun die Touristenmassen definitiv hinter uns gelassen. Es spricht hier kaum jemand Englisch und die Menschen sind etwas zurückhaltender. Trotzdem spüren wir eine Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft und geraten in überraschende Situationen…
Auf der Suche nach einem Restaurant für das Abendessen schauen wir wohl verloren aus der Wäsche. “Can we help you?”, fragt ein sympathisches Paar aus dem Auto, das neben uns anhält. Kurzentschlossen bitten sie uns einzusteigen und versprechen, uns bei einem empfehlenswerten Restaurant abzusetzen – wow, wir sind sprachlos. Die persischen Buchstaben der Speisekarte machen zwar einen dekorativen Eindruck, aber der Hunger lässt sich damit nicht stillen. Der Kellner erfasst unsere Misere und schickt uns einen Übersetzer, der uns einige der Gerichte entschlüsselt. Auf dem Heimweg winken uns zwei Jungs, Verkäufer einer Bäckerei, heran. Beide sprechen nur Farsi und wir wissen nicht mit Sicherheit, was sie uns soeben gefragt haben. “Woher kommt ihr?”, spekulieren wir – meist die erste aller Fragen. “Suiss”, erwidern wir langgezogen, und werden verstanden. Mit einem Strahlen im Gesicht und einem frisch duftenden Fladenbrot kehrt einer der aufgeschlossenen Jungs aus dem Laden zurück – ein Geschenk für die beiden Schweizer.
Zwei Tage später reisen wir weiter. Erneut überqueren wir die von Osten nach Westen verlaufenden Bergketten des zentralen Alborz mit den nur spärlich besiedelten Hochtälern – diesmal in umgekehrter Richtung. Die vierstündige Fahrt gestaltet sich sehr abwechslungsreich. Der Bus kurvt durch eine grüne Landschaft, vorbei an Wäldern und Blumenwiesen. Die Strasse windet sich auf eine knapp 2000 Meter hohe, karge Hochebene mit einer sagenhaften Felskulisse, bevor wir wieder an Höhe einbüssen.
Zurück im wüstenhaften Hochland auf rund 1000 Metern Höhe setzt uns der Fahrer am Stadtrand von Damghan ab. Es ist eine der vermutlich ältesten Städte des Irans, jedoch kein Juwel. Die Kleinstadt bietet ein geziegeltes Mausoleum und Moscheen mit hochaufragenden Minaretten, ansonsten wenig. An der Strasse türmen sich in zahlreichen Läden verschiedene Nüsse in grossen runden Schalen. Für uns dient der Ort lediglich als Zwischenstopp auf unserer Reise in den äussersten Westen des Landes. Die Mission des Tages ist das Erstehen eines Zugtickets nach Mashhad, was sich nicht ganz einfach gestaltet…
Wohl verirrt sich ziemlich selten ein Tourist nach Damghan, viele Leute beäugen uns neugierig. Kaum jemand spricht aber mehr als ein paar Grundbegriffe in Englisch, nicht einmal der Herr der Hotelrezeption versteht unsere Frage bezüglich Kauf von Bahntickets. Im Iran ist es üblich, eine Fahrkarte zumindest einen Tag im voraus zu buchen, was aber nicht am Bahnhof, sondern nur über ein Reisebüro möglich ist. Die einzige Agentur, die unser Reisehandbuch erwähnt, existiert nicht mehr. Wo können wir nun ein Zugticket kaufen? Und wer spricht etwas besser Englisch?
Wir suchen ein anderes Hotel auf, aber der Rezeptionist spricht nur Farsi. Mit zusätzlicher Hilfe eines Kerls mit geringen Englischkenntnissen, des Sprachführers und des “Ohne Wörter-Büchleins”, wo wir auf Bilder zeigen können, kommen wir unserem Ziel langsam näher. Mit einem Zettel persischer Zeichen, wo der Name eines Reisebüros steht – hoffentlich – landen wir zuversichtlich wieder auf der Strasse. Nun werden wir an den richtigen Ort geleitet. Geschlossen – das Büro öffne um fünf Uhr wieder. In gewissen Städten ist es üblich, in der grössten Nachmittagshitze den Laden zwecks einer Siesta zu schliessen, um danach bis spätabends offen zu halten. Um fünf Uhr stehen wir noch immer vor verschlossener Türe – wir warten geduldig. Mit den Öffnungszeiten nehmen es die Iraner nicht so genau, jeder macht, wie es ihm gerade passt. Dann endlich, eine halbe Stunde später öffnen die Pforten und es gibt zum Glück noch Tickets für die gewünschte Fahrt am nächsten Tag. Wir sind erleichtert, denn Züge sind oft ein paar Tage im voraus ausgebucht.
Unsere Tickets sind in Farsi, entziffern können wir mittlerweile immerhin die persischen Zahlen. Auf dem Zugticket steht das morgige Datum: 26.02.1395 – eine Reise in die Vergangenheit… Der iranische Sonnenkalender liegt 621 Jahre hinter unserer Zeitrechnung. Das iranische Jahr dauert auch 365 Tage, beginnt aber im Frühjahr am 20. März mit Nouruz, den Neujahrsfeiertagen. Auch der islamische Mondkalender hat hier eine offizielle Bedeutung, danach werden die religiösen Feiern, wie z.B. Ramadan, festgelegt. Iran zähle zu den Ländern mit der höchsten Zahl an Feiertagen weltweit.
Rund 500 Kilometer liegen vor uns. Kaum ein Halt auf der Strecke, der Zug düst der riesigen, fast menschenleeren Kavir-Wüste entlang. In knapp sechs Stunden werden wir die Stadt Mashhad im Nordwesten des Landes erreichen. Ein älteres Ehepaar bietet uns grosszügig Apfelschnitze und Mandeln an. Auch das Zugpersonal umsorgt uns herzlich, obwohl nur der persischen Sprache mächtig. Eine junge Englischlehrerin ist an Bord, die das Übersetzen übernimmt. “Wie kommt ihr zum Hotel?”, sorgt sich die junge Frau, “wie sprecht ihr mit den Leuten?” Sie schreibt uns ihre Telefonnummer auf, bietet gütig an, sie zu kontaktieren, falls wir Hilfe benötigen. Immer wieder aufs Neue sind wir beeindruckt, wie wohlwollend und liebenswürdig die Menschen im Iran sind…
Hello my friends, we met in front of the Turkmen embassy last week. Did you finally receive your Turkmen visas yet? We are in Isfahan now planning our way back to Mashhad in a few days. Hope all is well with you!
Best,
Ai & Johnny
Hi Ai & Johnny
Unfortunately we didn’t get the visa on last Thursday… Actually there where lots of travellers they didn’t get the visa as well and they all applied earlier than we did (10 days ago). As we didn’t know what to do in and around Mashhad for another week or even longer, we decided not to extend our iranian visa and left the country with the plane to Aktau, Kasachstan (via Baku), where we are now. From here we try to get on the train into Uzbekistan…
We hope you have more luck – all the best!
Christine & Roland