Napier – Strassenzüge im Art-déco-Stil
Auf einen lauen Abend folgt eine aussergewöhnlich milde Nacht, frühmorgens wärmen noch immer kuschelige 20 Grad. Und als die Sonne uns später erste Strahlen schenkt, stürzen wir uns gut gelaunt in die kurzen Sommerkleider… In unserem Campervan alles niet- und nagelfest verstaut, verlassen wir Wairoa, auf dem Pacific Coast Highway in Richtung Süden. Die Strecke führt in unzähligen Kehren auf und ab, meist über lieblich geschwungene Hügelzüge im Landesinneren. In zwei Stunden spulen wir nur etwas über 100 Kilometer ab und als wir Napier erreichen, steht die Sonne bereits senkrecht am Himmel.
Die Hafenstadt mit mediterranem Klima ist häufig mit Sonnenschein gesegnet – an der Ostküste der Nordinsel regnet es weniger wie in anderen Ecken Neuseelands. Napier wirkt trotz seiner Grösse von 50’000 Einwohnern beschaulich und gilt als eine der schönsten Art-déco-Städte der Welt. Die Ansammlung der Art-déco-Bauten ist einmalig, mit einer für diese Stilepoche seltenen homogenen Architektur. Das hat allerdings einen äusserst traurigen Hintergrund…
Alles änderte sich schlagartig an einem Morgen im Jahre 1931, als die Stadt von einem Erdbeben der Stärke 7.9 heftig erschüttert wurde. Ein katastrophales Erdbeben, eines der stärksten in der Geschichte Neuseelands. Nach nur drei Minuten lag ein grosser Teil der Gebäude in Schutt und Asche. Rund 250 Menschen starben. In den nächsten zwei Wochen folgten über 600 Nachbeben. 300 Quadratmeter Neuland waren gewaltsam dem Ozean entrissen worden. Napier ergriff die Gelegenheit, die Stadt auszudehnen und neu anzufangen. Innerhalb von drei Jahren entstand ein neues Stadtbild, im damals angesagtesten Stil: Art déco. Er bedeutete den Inbegriff der Moderne – die geometrischen Ornamente und Formen waren Symbole einer schnörkellosen, von alten Konventionen befreiten Zeit.
Gemächlich bummeln wir durch das gitternetzartig angelegt Geschäftszentrum. Wir bestaunen die niedlichen Strassenzüge mit den pastellfarbenen Gebäuden, die sich eng aneinander schmiegen. „Mutet teilweise wie eine Filmkulisse an“, schmunzelt Roland, und ich gebe ihm Recht. Die Innenstadt ist überschaubar, bald sind wir durch alle Gassen gestreift. Mittlerweile stehen Wolken frech vor der Sonne, lassen die bunten Bauten im Schatten stehen… Zeit für einen Nachmittags-Kaffee. Zwar verspüren wir keinerlei Lust auf ein Mahl in einem Restaurant – sind mit unserer einfachen Camper-Küche vollends happy – doch der Besuch eines Cafés lockt uns stets aufs Neue. Und Neuseeland bietet viele einladende Lokale, manchmal sogar unterwegs am Strassenrand irgendwo im Nirgendwo. Und hier in der Innenstadt von Napier sowieso. Genüsslich schlürfen wir eine grosse Tasse Koffein und beobachten das Gehen und Geschehen in der Fussgängerzone.
Schwarze Wolken hängen bedrohlich tief am Himmel. Ein Frösteln huscht über meine nackten Beine. Schleunig marschieren wir zum Campingplatz zurück, der zwei Kilometer ausserhalb des Zentrums liegt. Uns war es lieb, das Fahrzeug daheim stehen zu lassen, doch es hätte sich genügend Platz zum Parken geboten. Wie fast überall in Neuseeland sind Parkplätze auch in Napier keine Mangelware… Kaum die Campinganlage erreicht, fängt es zu nieseln an. Später kübelt es in Strömen, rasch bilden sich grosse Wasserlachen. Bereits auf dem Weg zur Dusche werden wir nassgespritzt – sogar unter dem Regenschirm. Wie war das noch einmal mit dem Wetter an der Ostküste? Ein Glück hausen wir in wasserdichten Wänden und nicht in einem tropfnassen Zelt wie unsere armen Nachbarn. Immer wieder sind wir dankbar für unseren Campervan, sei es wegen Kälte, Wind oder Regen!
Der Hochsommer hat ein jähes Ende genommen. Noch immer ist es trüb und nass. Kein Grund zur Eile. Gemütlich frühstücken wir im Trockenen, nehmen uns Zeit für einen Grosseinkauf im Supermarkt. Doch alles Trödeln nützt nichts. Windstösse blasen uns den Regen von allen Seiten ungemütlich ins Gesicht. Heute verabschieden wir uns vom Pacific Coast Highway und somit auch von der Küste, setzen den Blinker in Richtung Inselmitte. In weiten Schleifen gewinnt die Strecke stetig an Höhe und führt durch einen abgelegenen Landstrich der Nordinsel. Nebel umarmt uns von allen Seiten. Das Hochplateau erreicht, lassen wir die Stadt Taupo links liegen und düsen weiter in Richtung Rotorua. Nach 200 Kilometern erreichen wir nachmittags unser heutiges Ziel – Waikite Hot Springs. „Hot“ tönt verlockend, insbesondere bei diesem launisch kühlen Wetter…
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