Inselwechsel – durch die Marlborough Sounds
Windstösse rütteln an unserem Campervan, bringen unser Daheim regelrecht ins Schaukeln. Frühmorgens erreicht die Temperatur in Foxton Beach noch immer 20 Grad – heftiger Wind bläst wie ein warmer Föhn. Kaum unser Frühstück verschlungen, entleert sich ein dunkles Wolkendach über uns. Noch rund 100 Kilometer trennen uns von Wellington, der neuseeländischen Hauptstadt am südlichen Zipfel der Nordinsel. Es windet und schüttet von allen Seiten, das Fahren gestaltet sich mühsam. Nebel hängt tief, schmiegt sich in die Hügeltäler. Ein hässlicher Tag – gut genug, um unterwegs den Einkauf zu erledigen und Kaffee zu schlürfen.
Nachmittags kommen wir in Wellington an und lassen uns auf einem Campingplatz ausserhalb, auf der anderen Seite der grossen Bucht in Lower Hut nieder. Am nächsten Morgen gondeln wir mit dem öffentlichen Bus durch die angrenzenden Vororte ins Stadtzentrum – die Parkmöglichkeiten seien rar. Wir flanieren durch die belebte Fussgängerzone sowie der Uferpromenade entlang. Das Wetter
spielt sich wechselhaft auf. Stossen uns erst kalte Windböen fast um, herrscht einen Moment später Windstille, die uns in der soeben übergestreiften Jacke schmoren lässt. „Welly“ ist als Neuseelands „Windy City“ berüchtigt: Die Cook Strait zwischen der Nord- und Südinsel wirkt wie ein riesiger Trichter, der die Luft bündelt. Diese bläst fast jeden Tag als herber Wind durch die Hochhäuserschluchten. Die Durchschnittstemperatur erreicht im Sommer nur knapp 20 Grad, sinkt im Winter hingegen nicht unter angenehme 12 Grad.
Die Mischung aus historischer und moderner Architektur verleiht der Hauptstadt mit ihren rund 200’000 Einwohnern ein angenehmes Flair. Trotzdem kriegen wir bald genug, sind wohl momentan mehr auf Natur wie Stadt eingestellt… Die Cable Car, ein kleines Bähnchen mit leuchtend roten Wagen, transportiert uns innert Minuten in den Botanischen Garten über der Stadt. Aus 120 Metern Höhe bietet sich ein wunderbarer Ausblick über Wellingtons geschwungene Buchten und die mit hübschen Einfamilienhäusern überzogenen Hügel. Durch dichten Busch und exotische Pflanzen bummeln wir über die gepflegten Spazierwege gemächlich zurück ins Stadtzentrum.
Wie fast überall ist die Check-out-Zeit auch bei diesem Campingplatz auf zehn Uhr festgelegt – in unseren Augen viel zu früh. Unsere Fähre legt erst spätnachmittags ab. In Strandnähe finden wir einen geeigneten Parkplatz abseits der Hauptstrasse zum Verweilen. Der schwarze Sandstrand ist mit groben Kieseln, weissen Muscheln und Schwemmholz übersät. Beim Genuss eines Kaffee aus der Thermoskanne und einem leckeren Muffin trauen sich Möwen nah an uns ran, würden sich bestimmt über ein paar heruntergefallene Kuchenbrösel freuen. Doch bei uns gibt es nichts zu picken, deshalb macht sich einer der vorwitzigen Vogelmeute über das im Wasser ausgelegte Fischernetz her. „Don’t eat my fish!“, kommt eine dunkelhäutige Frau entsetzt angerannt und vertreibt energisch die hungrige Möwe.
In Reih und Glied, eng zum nächsten Campervan aufgeschlossen, warten wir am Hafen, bis wir in den dicken Bauch der Fähre hineinfahren dürfen. Das Schiff ist riesig – 180 Meter lang und 25 Meter breit. Wir ergattern einen der letzten Sitzplätze ganz vorne am Bug, unmittelbar hinter den grossen Fensterscheiben. „Tuuut“. Ein tiefes, dumpfes Hornen weist auf die baldige Abfahrt hin. Pünktlich um fünf Uhr setzt sich der Kahn langsam in Fahrt. Die 23 Kilometer breite Cook Strait ist berühmt für ihre raue See. Doch das Meer ist heute glücklicherweise ruhig gestimmt, wirft nur klitzekleine Wellen.
Land in Sicht. Nach der Hälfte der dreieinhalb Stunden langen Überfahrt erlangen wir die Marlborough Sounds an der Nordostspitze der Südinsel. Ein aufregendes Gewirr aus Meeresarmen, steil aufragenden, dicht bewaldeten Hängen und einsamen Buchten mit schmalen Stränden. Das ausgedehnte Netzwerk an tief eingeschnittenen
Wasserwegen und Halbinseln entstand, als Erdbewegungen den Boden im ganzen Gebiet langsam absenkten und Wasser somit in die tief gelegenen Täler eindringen konnte. Heute gucken nur noch die höheren Erhebungen aus dem Meer. Viele der zahlreichen, mitunter sehr kleinen Siedlungen in den Marlborough Sounds sind nur mit dem Boot und aus der Luft zu erreichen.
Die Fähre steuert geradewegs auf den Queen Charlotte Sound zu, einen der breiten, langen Meeresarme des Labyrinths, welches insgesamt über nahezu 1000 Kilometer Küstenlänge verfügt. Die untergehende Sonne blinzelt hinter Wolkenfetzen hervor, taucht die Kulisse stimmungsvoll in mildes Licht. Am südlichen Ende des Queen Charlotte Sounds liegt Picton, das Tor zur Südinsel. Es dunkelt ein, als wir im Hafen anlegen – bis wir wieder festen Boden unter den Rädern spüren, ist es stockfinster. Dutzende Campervans und Motorhomes mit derselben Mission rollen durch den kleinen, schlafenden Ort. Beim erstbesten Campingplatz herrscht Hochbetrieb und Chaos pur – ohne Reservation ist kein Stellplatz zu erhaschen. Aber nur wenige Fahrminuten weiter gibt es auch für die Planloseren wie uns einen Stellplatz, erst noch grosszügiger und günstiger.
Die Sonne lacht. Das ist hier keine Seltenheit, denn nirgendwo in Neuseeland scheint die Sonne so ausgiebig und das Klima ist so angenehm wie im Norden der Südinsel… Die bewaldete Halbinsel gleich östlich von Picton überziehen mehrere
Wanderwege – bequem können wir direkt vom Campingplatz losmarschieren. Vom „Queen Charlotte Viewpoint“ geniessen wir den herrlichen Ausblick über das wild zerklüftete Gebiet, einzig milchige Wolkenschlieren trüben das Bild. Grün bewaldete Landzungen umarmen liebevoll blaue Meesarme. Der Pfad folgt dem Kamm der Halbinsel bis zur Spitze, dem Snout Point. Auf dem Rückweg steigen wir über einen steilen Weg hinunter zur Bob’s Bay, einer der unzähligen, von Wasser umspülten Buchten.
Regen prasselt auf das Camperdach. Der neue Tag begrüsst uns trüb und nass, bringt uns in Verlegenheit. Sollen wir abwarten? Oder weiterfahren? Doch die anstehende Strecke ist eine malerische Küstenstrasse, eine Sehenswürdigkeit sozusagen. Schlussendlich entscheiden wir uns, einen Tag in Picton auszuharren und hoffen, Petrus besinnt sich morgen wieder eines sonnigen Sommertags. Unser Schlechtwetterprogramm kommt zum Zug – Einkaufen und Cafébesuch. Im Supermarkt treffen wir zufälligerweise auf Regina und Peter, zwei bekannte Schweizergesichter, welche uns bereits vor einer Woche auf der Nordinsel über den Weg liefen – unglaublich.
Die dritte Nacht auf demselben Camping, eine Premiere. Im Verlaufe des Nachmittags nehmen die Niederschläge noch zu und bilden auf dem Rasen grosse Pfützen. „Gummistiefel wären angebracht“, stelle ich deprimiert fest. Der nächste Morgen blickt uns immer noch grau verhangen ins Gesicht. Trotzdem nehmen wir nun den „Queen Charlotte Drive“ in Angriff. Die 35 Kilometer lange Strecke windet sich an den Buchten der Marlborough Sounds entlang, birgt haufenweise enge Kurven. Die Ausblicke auf die reizende Küstenlandschaft wirken blass, die Sonne kann sich leider kaum bewahrheiten. Unterwegs gönnen wir uns entlang der Strasse eine Mittagspause, bevor die „Scenic Route“ in der kleinen Ortschaft Havelock ein Ende nimmt.
Nach einer weiteren Fahrstunde liegt uns Nelson zu Füssen, die wir auf einem Stadtrundgang kurz vertreten, bevor wir uns im nahen Richmond auf einem Campingplatz einnisten. Trotz Bewölkung ist der Abend angenehm mild und wir freuen uns, endlich wieder einmal ohne Hühnerhaut draussen sitzen zu können. Darauf müssen wir gleich anstossen – ein gemütlicher Apéro mit Wein und Chips ist nie zu verachten…
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