Granitgipfel der Stirling Range
Während die ersten Sonnenstrahlen über die Wasseroberfläche tanzen, stecken wir noch gähnend in den warmen Federn. Später spachteln wir das Frühstück in der wärmenden Herbstsonne, bevor sich aus heiterem Himmel dunkle Wolken über uns entleeren. Schleunig flüchten wir ins Fahrzeug, warten geduldig bis der Spuk vorüber ist, doch dieses Szenario wiederholt sich stets aufs Neue. Aprilwetter – in Down Under jedoch nicht wie gewohnt im Frühling. Trotz verlässlich wiederkehrender Regengüsse brechen wir am späten Vormittag auf, um die Halbinsel südlich von Albany zu entdecken…
Die von Wind und Meer geformten, oft steil abfallenden Klippen und schroffen Felsformationen des Torndirrup Nationalparks ziehen uns in ihren Bann. The Gap ist eine 24 Meter hohe Felsklippe, darüber thront eine ausgesetzte Plattform. Ehrfurchtsvoll gucken wir in die Tiefe und beobachten fasziniert, wie Wassermassen mit einer ungeheuren Wucht in die natürliche Spalte im Granitfelsen gedrückt werden. Unter uns schäumt es wie in einer Waschmaschine… Die Natural Bridge und die Blow Holes sind nicht minder eindrucksvoll, wo wogende Wellen mit Druck durch Tunnels der Felslandschaft gepresst werden. Die pure Gewalt des Ozeans ist imposant.
Als wir nachmittags die wilde Küste hinter uns lassen und ins Landesinnere karren, spielen sich Sonne und Wolken noch immer gegeneinander aus. Rund 40 Kilometer nördlich von Albany taucht aus der endlos scheinenden Ebene unvermittelt ein Höhenzug auf. Die
Porongurup Range – sprich Prongrup – ist rund 600 Meter hoch, das gesamte Gebiet im gleichnamigen Nationalpark von zwölf Kilometern Länge geschützt. Am nächsten Tag streifen wir durch Eukalyptuswald, dann weiter hoch über den langen Rücken
eines ebenmässig ansteigenden Granitfelsens mit dem teuflischen Namen Devil’s Slide. Das uralte Gestein – es sei über 1000 Millionen Jahre alt – ist zum Glück keine Rutsche sondern trocken und rau, bietet unseren Schuhen somit guten Halt. Oben angelangt frönen wir einem fantastischen Ausblick über die weiteren Granitberge sowie das tellerflache Kulturland.
Nach einem Picknick nehmen wir eine zweite Wanderung unter die Sohlen. Der schmale Pfad im Wald steigt stetig bergan, bis wir nach einer Stunde ans Ziel gelangen. Skeptisch
beäugen wir eine riesige, auf einer Felsplatte balancierende Granitkugel am Wegesrand. Ohne viel Fantasie ist auszumalen, wie sie demnächst davon rollt. Nur noch wenige Schritte trennen uns vom Castle Rock, einem mächtigen Gesteinsbrocken mit schätzungsweise 50 Meter hohen, senkrecht abfallenden Felswänden. Kurzes Kraxeln mit Hilfe von eingeschlagenen Metallsprossen und
zuletzt eine steile Leiter bringen uns hautnah an das steinerne Monster heran. Die brückenartige Stahlkonstruktion schmiegt sich in schwindelerregender Höhe um den Castle Rock, lässt uns beinahe eine halbe Runde um den Felsen schweben. Vorsichtig setze ich auf dem sogenannten Skywalk einen Fuss vor den anderen, versuche den luftigen Ausblick in die Weite und schier bodenlose Tiefe zu würdigen. Doch pudelwohl ist es mir nicht – wenn dieser spektakuläre Balkon nur hält.
Spätnachmittags reisen wir gegen Norden weiter. Fast ständig geradeaus und flach, ragen nach 50 Kilometern Fahrt abrupt noch höhere Granitgipfel aus einer verlassenen Ebene
hinaus. Die Stirling Range wurde vor unendlich langer Zeit infolge Plattentektonik aufgeschoben und bildet nun einen 65 Kilometer Höhenzug, auf dessen gesamter Länge viele einzelne spitze Gipfel erheben. Der einzige Campingplatz ist – wie meistens in den Nationalparks – schlicht und abgesehen von einem Klo ohne jegliche Annehmlichkeiten. Die in den Bäumen versteckte Übernachtungsgelegenheit trumpft zwar mit einem lauschigen Fleck Natur, aber ist zu unserem Erstaunen fast
unmittelbar an der Durchgangsstrasse gelegen, wo bis spät in die Nacht vorwiegend schwere Lastwagen vorbeidonnern. Dafür erfreuen wir uns tierisch am nächtlichen Besuch. Drei Känguruhs fressen sich in der Finsternis zu unserem Camper vor, kennen keine Scheu. Nun geraten uns die liebenswerten Genossen erstmals lebendig unter die Augen, und liegen nicht traurig tot am Strassenrand oder schmackhaft auf dem Teller.
Der klare Morgenhimmel verspricht Sonnenschein – endlich ist uns das Wetter gutgesinnt. Ideal für unsere heutigen Pläne. Der höchste Berg der Stirling Range ist der Bluff Knoll, der mit 1095 Metern den höchsten Punkt im gesamten Südwesten bildet. Auf diesen beliebten Gipfel führe ein gut ausgebauter Touristenweg. Diese Beschreibung schreckt uns eher ab und wir nehmen stattdessen die zweithöchste Granitspitze des Toolbrunup in Angriff. Oft sind die Gipfel in Nebel gehüllt, im Winter gelegentlich sogar schneebedeckt. Doch heute lugen sie aus der sandigen, knapp 500 Meter hohen Fläche unverhüllt in einen stahlblauen Himmel. Gut gelaunt schnüren wir unsere Wanderschuhe.
Erst bringt uns der schattige Waldweg langsam Meter für Meter höher hinauf, doch bald geht der Anstieg in feines loses Geröll über und führt viel steiler bergan. Als der Pfad sich plötzlich in einer Wand mit grossen Gesteinsbrocken verliert, schlucke ich einmal leer. Natürlich war uns bewusst, dass der Aufstieg anspruchsvoll ist, doch der mit teils schwankenden Granitklötzen übersäte Abhang scheint so schnell kein Ende zu nehmen. Mühselig bahnen wir uns einen Weg, legen den
Geländegang ein und klettern oft auf allen Vieren langsam voran. Endlich eine Anhöhe erreicht, liegen noch die letzten, steil empor ragenden Höhenmeter vor uns. Mir wird es beim Anblick Angst und Bang, sogar Roland ist es etwas mulmig zumute. Doch der Gipfelsturm sah weitaus schlimmer aus als er ist. Nach zwei anstrengenden Kilometern stehen wir mutterseelenallein auf dem 1052 Meter hohen Toolbrunup – ein grossartiges Gefühl. Die 360-Grad-Sicht raubt uns, ebenso wie der Aufstieg, den Atem.
Im grauen, von Wellenlinien durchzogenen Gestein suchen wir uns ein möglichst windgeschütztes Plätzchen. Unverhofft piepst Rolands Mobiltelefon. Aha, hier oben gibt es Empfang – in der Ebene unten war das Netz nicht existent. Endlich können wir die längst erfasste Nachricht an unseren Vermieter versenden und seine postwendende Antwort sogar noch lesen. Ein eigenartiges Gefühl, auf einem Ausflug in die Berge den Bürokram zu erledigen… Der Abstieg ist noch heimtückischer wie der Aufstieg. Hochkonzentriert kraxeln wir auf derselben Route hinunter, immer darauf bedacht, versehentlich keine Steinbrocken in die Tiefe zu stossen. Immer wieder huschen Befürchtungen durch meinen Kopf – ich hoffe innig, dass uns im wahrsten Sinne des Wortes nichts zustösst. Denn wir begegnen niemandem, sind ganz auf uns allein gestellt, auch auf das Mobilfunknetz ist jetzt kein Verlass mehr.
Erleichtert und ausgelaugt fallen wir mit Glücksgefühlen nach fünf Stunden wieder in den Autositz. In einer kurzen Fahrt erreichen wir ein Bushcamp an der Grenze zum Nationalpark. Ein paar Känguruhs begrüssen uns, zupfen munter Grashalme. Entzückend, heute die Beuteltiere auch noch bei Tageslicht mustern zu können. Das Camp ist weitläufig, ohne räumlich begrenzte, nummerierte Stellplätze. Auch sind kaum Leute da, so fühlt es sich fast etwas wie wildes Campen an. Die erfrischende Dusche wirkt befreiend, die Sonne brennt noch heiss.
Doch bereits in voller Blüte des Nachmittags scheint der glühende Ball richtiggehend dem Horizont entgegen zu fliegen. Schon müssen wir uns beeilen, um den Sundowner, wohlverdienten Drink zum Sonnenuntergang, nicht zu verpassen. Noch immer haben wir uns nicht daran gewöhnt, dass bereits um sechs Uhr die Dunkelheit flink über uns hereinbricht. Um sieben fühlt es sich oft so an, als wäre es schon zehn…
Genauso rasch wie es düster wird, nimmt uns auch eine empfindliche Kälte gefangen. Australischer Herbst. Bereits sehnen wir die nördlichen, warmen Gefilde herbei. Doch da dort oben momentan die tropische Regenzeit erst am Ausklingen ist, war es Absicht, uns zuerst im Süden aufzuhalten. Auch möchten wir hier in den besiedelten Regionen unser rollendes Daheim besser kennenlernen und einfahren, bevor wir ins abgelegene, kaum bewohnte Outback aufbrechen… Unzählige Sterne funkeln am klaren Nachthimmel. Am Morgen ziehen wir die Bettdecke nochmals weit über beide Ohren. Das Thermometer bestätigt frostige sieben Grad in unserem Schlafgemach. Die Zeltwände unseres Poptops sind feucht, es fehlt nicht mehr viel und das Kondenswasser tropft von der Decke. Das Aufstehen kostet grosse Überwindung. Doch heute kitzeln uns immerhin bald Sonnenstrahlen, wärmen rasch unsere Lebensgeister. Wir hassen jene Morgen, wo hartnäckige Wolken die Temperaturen nur im Schneckentempo klettern lassen.
Alles tut weh, ich spüre Muskelkater an Stellen, wo ich mir vor der gestrigen Wanderung überhaupt keiner Muskeln bewusst war. Auch unsere Hüfte und Rücken klagen, doch diese Schmerzen sind bestimmt unserer harten Pritsche zuzuschreiben. Unser Körpergewicht drückt die sowieso schon hauchdünnen Schaumstoffmatten vollständig durch. Wir müssen uns demnächst eine zusätzliche Schlafunterlage anschaffen… Vormittags nehmen wir uns noch Zeit, um unsere vier Wände aufzuwerten. Wir reinigen und spülen den Wassertank, damit wir später irgendwo im Nirgendwo nicht nur auf Waschwasser, sondern auch auf Trinkwasser zurückgreifen können. An der Hecktüre bringen wir einen dünnen Vorhang an, um lästige Mücken und Fliegen fernzuhalten. Und Roland repariert geschickt und ideenreich noch ein paar Kleinigkeiten.
Später auf Achse in Richtung Osten. Nur wenige Biegungen unterbrechen die eher monotone Fahrt. Am Strassenrand leuchtet die Erde rot, Busch überzieht das Land soweit das Auge reicht. Das ist Australien – wir lieben diese Weite. Obwohl meist 100 Stundenkilometer erlaubt, zeigt unser Tachometer kaum mehr als 80 an. Absichtlich fahren wir nicht schneller, sei es um die Landschaft eingehender zu geniessen, aber auch Treibstoff zu sparen. Der Landcruiser ist durstig und schlürft auch in gemässigtem Tempo auf asphaltierten Strassen bereits etwa zwölf Liter pro 100 Kilometer.
Ehe wir uns versehen steht die Sonne schon wieder tief am Horizont. Rund 200 Kilometer abgespult, verbringen wir die heutige Nacht das erste Mal auf einem offiziellen, kostenlosen Rastplatz, kurz vor einem Kaff namens Ravensthorpe. Wir entfernen uns von der Strasse weg, verziehen uns etwas in die Büsche. Nebst Mülleimern und Verkehrslärm finden wir hier sogar unerwartet Idylle und Privatsphäre. Mit Stirnlampe rühren wir im Kochtopf, verschlingen hungrig ein einfaches Mahl, währenddessen die Mücken uns verschlingen. Wie meistens verkriechen wir uns früh im Bett, was die sowieso schon langen Nächte leider aber noch länger macht…
Morgens um sieben ist es zwar taghell, doch die Sonne heizt frühestens ab acht Uhr
unsere Knochen. Wir düsen 50 Kilometer gegen Süden, wo wir im verschlafenen Hopetoun auf die Küste treffen. Unser Vorhaben fällt aber leider ins Wasser. Die Zufahrt zum Fitzgerald Nationalpark ist geschlossen, da ein Teil der Strasse infolge stürmischen Überflutungen vor ein paar Monaten weggespült wurde. Auch noch weitere Küstenfahrwege sind arg in Mitleidenschaft gezogen, und somit bleibt uns nichts anderes übrig, wie auf gepflasterten Strassen im Landesinneren unsere Reise in den Osten fortzusetzen. Etwa 100 einsame Fahrkilometer später, trudeln wir in einem weiteren Naturschutzgebiet ein.
Der Campingplatz im Stokes Nationalpark liegt leider ziemlich versteckt im Busch. Im Sommer vermag das Grünzeug erlösend sein, doch jetzt im Herbst ist der kühle Schatten eher eine Qual. Mit Bier und Chips im Sack machen wir uns frohen Mutes auf zum nahegelegenen Meeresarm. Der Sandstrand wartet mit hinreissend knorrigen Nadelbäumen auf, deren helle Stämme mit einer Rinde wie Papier überzogen sind. Doch tröstende Sonne suchen
wir hier um drei Uhr nachmittags bereits vergeblich. Einen echten Sundowner können wir uns abschminken – sollten wir vielleicht in Zukunft eher auf Sunriser umstellen? Wie auch immer, auf das Anstossen verzichten wir heute keinesfalls. Mit den besten Wünschen prosten wir aus der Ferne unseren Freunden Romina und Marco zu, die heute auf ihrer Hochzeit tanzen…
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